Pressespiegel

Mit "Jedermann" am Start zu einem Hundertmeterlauf

Freitag, 8. Januar 1999

Interview zum "Jedermann". Georg Preuße im Gespräch mit Silvia Schubert über seine neue Rolle im Jedermann.
S.S 91 Jahre nach der Berliner Uraufführung des "Jedermann" spielen Sie die Titelrolle. Ist bei der Zeitlosigkeit und deshalb so großen Brisanz und schmerzhaften Bedeutung des Stückes diese Rolle nach Ihrer Darstellung des "Mammon" eine besondere Herausforderung für Sie?
G.P: Ich denke jede Darstellung, die man annimmt, sollte für einen Schauspieler eine Herausforderung sein und verdient seine Ernsthaftigkeit. Dabei spielt die Größe des Parts keine Rolle. Oftmals sind die kleinen wichtige Mosaiksteine in einem Stück. Dies gilt besonderst für die Darstellung des "Mammon", der im Jedermannstück ja eine Zentralfigur ist. Dieser Auftritt erfordert in seiner relativ kurzen Zeit große Kraft und eine enorm hohe Präsenz. Vergleichbar mit einem Hundertmeterläufer. Bei der Titelrolle "Jedermann" benötigt es, neben der großen Textaufgabe, natürlich die Kraft und Präsenz, um, wie wir Künstler zu sagen pflegen, "die Kiste zu ziehen". Von ihm hängt das Tempo und das Ergebnis des Abends ab. Vergleichbar mit einem Langstreckenläufer.

S.S Was bewegt Sie an dieser Rolle und an dem Stück überhaupt?
G.P: Die Erkenntnis der Vergänglichkeit des Menschen, und das er nichts zurücklässt, als die guten oder bösen Erinnerung an ihm. Das der Tod einen jeden Tag ohne Vorwarnung überfallen kann. Das bedeutet: seinen Tag so zu verbringen, das man keine menschliche Schuld hinterlässt.

S.S Was glauben Sie, mit dieser Rolle in den Menschen, in Ihrem Publikum bewegen zu können? Halten Sie die Menschen für lernfähig?
G.P: Als unverbesserlicher Optimist muss ich das, sonst wäre meine Arbeit als Mary und Kabarettist ohne Sinn. Außerdem bin ich ein geduldiger Optimist und der Meinung, dass ein Lernprozess nur über eine Generation möglich ist. Und ist dazu Verstand und Herzensbildung nötig. Deshalb ist Bildung unheimlich wichtig. Hier kann das Theater seinen Beitrag dazu leisten, da es durch die Darstellung lebender Figuren unmittelbar die Gefühle der Menschen und sie so zum Denken bewegen kann. So nach dem Motto: "Unterhaltung ist, wenn man trotzdem denkt".

S.S Fällt Ihnen die Arbeit am "Jedermann" schwer - schwerer als z.B. am "Mammon" im gleichen Stück oder an Ihrer ganz ureigenen Rolle der "Mary"?
G.P: Nein! Ich versuche in jeder Rolle meine vorgebenden Aufgaben zu erfüllen und gerecht zu werden. Und dies mit großer Ernsthaftigkeit und Verantwortung. Dabei mache ich keinen Unterschied darin, ob ich mich im Genre der sogenannten 'Leichten Muse' oder der 'Ernsten Unterhaltung' befinde. Diesen Unterschied überlasse ich einer sich bedeutungsschwanger fühlenden Klientel.

S.S
Welche Fragen und welche Ziele stellen Sie sich zu Ihrer Interpretation des "Jedermann"?
G.P: Das ergibt sich schon aus dem Wortspiel "Jedermann" und "jeder Mann", also die Personifizierung in Bezug auf die Allgemeinheit. Für mich stellt sich da natürlich die Frage, wo finde ich diesen heutigen Menschen in unserer Gesellschaft. Wo liegt die Aktualität, das Recht, dieses Stück heute noch aufzuführen? Im "Jedermann" geht es doch gerade um das Irdische, das Materielle, um die Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit und dem Ellenbogen. Der Jagd nach immer mehr, um die unbedenklichen Lebensparty. Es ist der Tanz auf dem Vulkan. Und gerade darin finden wir die heutige erschreckende Aktualität. Für mich ist der "Jedermann" ein Yuppie, ein Moneymaker, Spekulant und Partytiger. Gleichzeitig wird einem in diesem Stück die Vergänglichkeit weltlicher Güter klar vor Augen geführt. Das man mit dem Tod alles verliert, das man sein Leben damit verbracht hat, materiellem Phantomen nachzujagen. Selbst der Mensch zerfällt zu Staub. Diese Erkenntnis, nicht mehr zu sein, als "jeder Mensch".

S.S Sie hatten in den letzten 10 Jahren neben Ihrer Rolle der Mary große Engagements auf den Schauspielbühnen und haben u.a. als Conferéncier in "Cabaret", als Gustaf Gründgens in "G. wie Gustaf", als Mammon in "Jedermann" (2000 und 2001) sowie unlängst in Ihrer Traumrolle als Beckmann in "Draußen vor der Tür" sehr große Erfolge gefeiert. War der Jedermann ebenso eine persönliche Wunschrolle?
G.P: Nein nicht unbedingt. Das wurde sie erst durch die intensive Beschäftigung mit dem Stück und den vorhin angegebenen Argumente. Auch ist es schauspielerisch natürlich eine Herausforderung nach dem "Mammon" nun seinen Gegenspieler darzustellen. Außerdem spielt für mich natürlich auch das große Vertrauen, das mir die Regisseurin Brigitte Grothum entgegenbringt, indem sie mir diese Aufgabe übergab, eine wichtige Rolle.

S.S Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit der Regisseurin Brigitte Grothum?
G.P: Sehr gut. Sie ist eine starke Frau, die mit zarter Hand und klugen Verstand einen zu führen weiß. Zu ihr habe ich großes Zutrauen. Sie weiß was sie will und hat ein enormes Einfühlungsvermögen in den Schauspieler.

S.S Was würden Sie tun, wenn Sie, wie Jedermann, nur noch eine Stunde zu leben hätten?
G.P: Ich würde versuchen, das zu tun, was ich aus diesem Stück gelernt habe: Noch offene menschliche Rechnungen zu begleichen.